Humoreske von Paul R. Lehnhard
in: „Wittener Zeitung”, Humoristisches Wochenblatt, S. 2 - 3 vom 4.1.1896
In seinem Atelier hielt der junge Photograph Ernst Richter folgenden Monolog:„Na, endlich scheint mein Geschäft doch ein wenig in Gang zu kommen. Schon wieder drei Soldaten hier gewesen. Es war aber auch unerhört! Ich, der einzige Photograph in diesem kleinen Orte, der ohne das bischen Militair das traurigste Nest der Welt wäre, und so wenig Kundschaft. Fast wäre mir nichts Anderes übrig geblieben, als mein Cyankali selbst zu verzehren. Ach, es wäre mir ja auch niemals eingefallen, mich hier zu etabliren, wenn nicht sie, die holde Hulda, hier hauste! Sie mu ß eine vorzügliche Hausfrau werden, da sie schon „kalte Mamsell” im Hotel ihres Vormundes ist. Wenn nur nicht so viele Offiziere im „Schwan” verkehren wollten, das macht mich eifersüchtig. Das Beste ist, ich halte noch heute um ihre Hand an.”
Ein mehrmaliges Klopfen unterbrach des jungen Photographen Gedankengang. Auf sein freundlichstes „Herein!” zwängte sich ein dumm-schlau lächelnder Rekrut durch die halb geöffnete Thür und sagte im reinsten sächsischen Dialekt:„Guten Tag auch, Herr Photographirer, wohnen Sie aber hoch!”
„Ja, das lä ßt sich leider nicht ändern,” zuckie Richter mit den Achseln.„Also, Sie wollen sich abnehmen lassen?”
„Nä,” hielt sich der Soldat ängstlich die Taschen zu,„ich will mir nichts abnehmen lassen.”
„Ach, ich meine, Sie wollen ein Bild von sich haben.”
„Von mir?” wunderte sich der Rekrut.„Nä, von Ihnen will ich's doch haben.”
„Versteht sich,” wurde Richter schon langsam nervös,„Sie wünschen aber doch wohl ein Bild von Ihrer Person?”
„Ja,” staunte jetzt der merkwürdige Kunde, „woher wissen Sie denn schon, da ß ich eine Person habe? Na, wenn Sie's denn nun doch mal raus haben — ja, ich hab' eine; eine höllisch hübsche Person, eine Frauensperson,”
„Na,” sagte der Photograph, „dann werde ich Sie mal ordentlich aufnehmen.”
„O bitte,” lächelte der Gast verbindlich, „machen Sie sich man weiter keine Umstände, Herr Photographierer, Sie haben mich ja so freundlich aufgenommen.”
„So meine ich's ja nicht,” stöhnte Richter, „Sie haben sich wohl noch nie ein Photogramm anfertigen lassen?”
„Nä,” war die treuherzige Antwort, „von Pfotenkram verstehe ich Sie nu reine garnischt.”
„Ich meine, ob Sie schon gesessen haben?”
Nun wurde der Soldat aber unwillig. „Hären Se,” sagte er mit vor Entrüstung bebender Stimme, „das mu ß ich mir denn aber doch ganz ernstlich verbitten! Ich bin ein ehrlicher Mensch und habe Sie noch niemals nicht gesessen. Verstehen Sie, Herr Photographierer?”
„ — graph, — graph,” verbesserte Richter.
„Und wenn Sie auch zehnmal ein Graf sind,” schrie der Soldat.
„Aber lieber Freund,” lenkte Richter ein,„das ist ein Mi ßverständni ß. Kommen Sie, ich werde Ihnen jetzt eine passende Stellung geben.”
„Nä, nä, lassen Sie man,” wehrte der Angeredete ab, „ich kann vorläufig doch noch keine Stellung annehmen.”
„Ich meine ja, eine Pose,” erklärte der Photograph.
Aber der Soldat sagte sofort: „Nä, nach Posen gehe ich nun schon gar nicht, mich will nämlich hier ein reiches Mädel zum Schatz haben. Hier, sehen Sie mal diesen Brief.” Dabei holte er ein zerknittertes Schreiben aus seiner hinteren Rocktasche hervor, glättete es auf dem Knie und las dann laut: „Schöner Mann, Du hast mir's angethan! Ahnst Du, wer ich bin und hegst auch Du ähnliche Gefühle für mich, wie ich für Dich in meinem keuschen Busen trage, so sende innerhalb dreier Tage Deine neueste Photographie an die Adresse: U. L. K. postlagernd hier.” Stolz lächelnd überreichte der Soldat seinen Liebesbrief dem Photographen.
Kaum hatte dieser einen Blick auf die Schriftzüge geworfen, als er auch schon einen Schrei des Entsetzens ausstie ß; er hatte die Handschrift seiner holden Hulda erkannt. Wie ein Raubthier auf seine Beute, so stürzte er auf den ahnungslosen Soldaten los.
„Ha! Das fordert Rache!” brüllte er, „fürchterliche Rache! Schändlicher Verführer, sprich, wie hast Du's angestellt, dieses reine Herz zu bethören?”
„Lassen Sie mich los!” jammerte der unglückliche Sachse. „Was habe ich Ihnen denn gethan? Ich will ja blos Bilder..”
Das brachte Richter wieder auf andere Gedanken. Er lie ß sein Opfer fahren und eilte ins Cabinet, die Platte zu holen. Diesen günstigen Moment wollte der geängstigte Rekrut zur wilden Flucht benutzen, allein zu spät! Auf der Treppe lie ß sich jetzt Geräusch vernehmen. Neues Unheil vermuthend, versteckte sich der Soldat hinter einer Staffelei, auf welcher sich ein Damenporträt befand. Es war aber auch die höchste gewesen, denn mit einem „Bombenelement” trat jetzt ein schneidiger Sergeant ins Atelier. Mit Schaudern erkannnte sogar der geplagte Kriegersmann seinen eigenen Sergeanten.
„Na, wo steckt denn nun der alte Guckkastenkerl?” räsonnirte der Herr Vorgesetzte. „Wie lange soll man hier denn warten!”
Zum Glück trat jetzt der Gewünschte herein und wunderte sich natürlich nicht wenig, an Stelle des Gemeinen einen Sergeanten zu finden. „Nanu,” murmelte er vor sich hin, „habe ich denn den so lange warten lassen, da ß er inzwischen avancirt ist?”
Ehe er noch darüber nachdenken konnte, hatte ihm der Herr Sergeant schon auseinandergesetzt, da ß er sich photographiren lassen wolle, um sein Bild einer jungen steinreichen Dame zu schenken, die sich wahnsinnig in ihn verliebt habe.
Wie staunte aber erst der Photograph, sowie der hinter der Staffelei befindliche Rekrut, als der Sergeant zur Bekräftigung seiner Worte einen Brief vorlas, welcher wörtlich mit dem an den Rekruten gerichteten übereinstimmte.
„Gestehen Sie es nur,” keuchte Richter, „Sie kennen meine Braut.”
„Was scheert mich Ihre Braut!” wurde der Sergeant grob.„Diese Braut ist meine Braut! Verstanden, Sie Jammergestell?"
Nun wurde es dem eifersüchtigen Photographen doch zu bunt. „Hinaus!” schrie er den vermeintlichen Nebenbuhler an.„Ich lasse mich nicht beleidigen!”
Das reizte den Militär erst recht zur Wuth; einen in der Ecke stehenden Besen ergreifend, verfolgte er fluchend und wetternd den flüchtenden Photographen. Plötzlich stie ß der Sergeant mit dem Besen ein gro ßes Loch in das auf der Staffelei befindliche Bild, und an Stelle des holden Damenkopfes ward nun das unbeschreiblich dumme Gesicht des zitternden Rekruten sichtbar.
„Donnerwetter!” staunte der Sergeant, „wer hat sich denn so photographiren lassen?”
„Zu Befehl, Herr Sergeant,” antwortete mit kläglicher Stimme der Soldat, „ich war's nicht.”
Ehe sich die Scene aufklärte, erschien ein Briefträger, ein ganz altes, hüstelndes Männchen, auf der Bildfläche.
„Mensch. Sie pusten ja so,” redete ihn der Photograph an.
„Lassen Sie ihn doch,” bemerkte der Sergeant, „er ist ja Pustbote.”
Richter bot dem alten Manne einen Stuhl. Kaum hatte derselbe Platz genommen, als er auch schon eine gro ße Medicinflasche und einen E ßlöffel aus der Tasche nahm. „Sie gestatten wohl?” wandte er sich dabei bittend an den Photographen. „Ich soll nämlich alle Stunde einen Löffel voll einnehmen, hat der Doctor gesagt. Das würde mich wieder in Gang bringen.”
„Nun will der auch noch in „Gang” gebracht werden,” brummte der Sergeant vor sich hin.
„Ja, wer sind Sie denn eigentlich?” fragte der Rekrut.
„Na,” antwortete langsam der Briefträger, „das sieht man mir doch gleich an. Ich bin ja der Eilbote!” und einen Brief dem Photographen überreichend, fügte er freundlich hinzu: „An Herrn Photographen Ernst Richter.”
Schnell öffnete Richter das Schreiben und las es laut vor: „Einzigster Ernst! Halte noch heute um mich an. Onkel ist rosigster Laune; er hat Dein Haus beobachtet und glaubt nun an Deine Riesenkundschaft. Den Besuch der vielen Soldaten verdankst Du übrigens nur mir, denn täglich sende ich anonyme Briefe an dieselben mit der Aufforderung, sich photographiren zu lassen.”
„Also angeführt?” unterbrach der Sergeant den interessanten Bericht.
„Seien Sie milde,” beruhigte ihn sofort der glückliche Photograph. „Ich liefere Ihnen ein Dutzend Bilder gratis. Sie, Herr Rekrut, sollen auch ein gutes Trinkgeld bekommen!” wandte er sich dann an diesen, und zu dem Eilboten sagte er lächelnd: „Sie müssen sich auch photographiren lassen!”
„Ach,” stöhnte der alte Mann, indem er die Medicin in den Löffel go ß, „dazu hab' ich keine Mittel.”
„So?” fragte der Sergeaut, „nehmen Sie denn nichts ein?”
„O doch!” nickte der Briefträger und trank, sich schüttelnd, die Arzenei aus. „Alle Stunde einen E ßlöffel voll.” —
So waren denn schlie ßlich alle Theile befriedigt, und als der Photograph am Abend auch die Hand seiner Braut erhielt, da drückte er dankbar derselben einen hei ßen Ku ß auf die Lippen für ihr probates Mittel.
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